Am 6. Juni 2023 publizierte die Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Kantons Basel-Stadt ihren Jahresbericht. Sie beschäftigte sich unter anderem mit dem Gesuch des Autors Alain Claude Sulzer, auf das seitens Fachausschuss Literatur beider Basel in äußerst ungeschickter Weise reagiert wurde. Die GPK fand heraus: Der Brief mit Absender Fachausschuss Literatur wurde von diesem weder geschrieben, noch hat er ihn je gesehen.
Der Vorwurf der staatlichen Zensur lag in der Luft und stand in sämtlichen deutschsprachigen Medien, als Alain Claude Sulzer sein Gesuch für einen Werkbeitrag für sein neues Buch zurückzog. Er sollte sich für die Verwendung ‚unsensibler Wortwahl‘ eines Protagonisten in seinem Manuskript rechtfertigen.
Die GPK enthüllte jetzt, dass nicht besagter Fachausschuss den Brief des Anstoßes schrieb, sondern die Abteilung Kultur Basel-Stadt, notabene nach dem Veto der Kulturverantwortlichen von Basel-Landschaft.
Gemäß dem Bericht der GPK war der Fachausschuss Literatur zum Schluss gekommen, den beantragten Werkbeitrag für das neue Buch von Alain Claude Sulzer zu sprechen. Aufgrund des im eingereichten Manuskript auffällig oft verwendeten Worts «Zigeuner» wollte der Fachausschuss mit dem Autor ein Gespräch führen. Das war jedoch nicht im Sinne der Kulturverantwortlichen Basel-Landschaft. Sie legte Veto ein, gegen das Sprechen der Mittel und gegen das Gespräch. Sie verunmöglichte dadurch den Dialog und provozierte den Skandal.
Ungeschickt? Auf jeden Fall. Doch auch politisch problematisch: Falls man tatsächlich der Meinung ist, dass bei den Förderkriterien etwas zu ändern ist – etwa Leitlinien für sensible Sprache in literarischen Werken –, dann ist das immer noch Sache der Politik und nicht der Verwaltung. Die Leitlinien, nach denen die Kulturabteilungen hier offenbar handelten, existieren nicht und sind im Bezug auf Literatur auch höchst fragwürdig. Ein Übersteuern der Verwaltung, das es zu kritisieren gilt.
Und: Wenn Basel-Landschaft für den doch eher bescheidenen Beitrag an die kulturellen Zentrumsleistungen derart viel Einfluss auf das Kulturschaffen von Basel-Stadt geltend machen kann, stellt sich die Frage, ob wir vielleicht nicht doch eher auf beides verzichten sollten.
Zeitung: Basler Zeitung, Sebastian Briellmann, 06.06.2024
Ideologie statt Literatur: Basel gibt ein ganz schlechtes Bild ab
Basler Zeitung
Zeitung: bz – Zeitung für die Region Basel, Zara Zatti, 06.06.2024
«Zigeuner»-Konflikt: Baselbieter Kulturchefin wollte nicht mit Alain Claude Sulzer sprechen
bz – Zeitung für die Region Basel
Online: Online Reports, Jan Amsler, 06.06.2024
Sulzers «Zigeuner»: Baselbieter Kulturchefin soll «Konsensfindung verunmöglicht» haben
Online Reports
Zeitung: NZZ am Sonntag, Peer Teuwsen, 09.06.2024
«Keine Mittel» für diesen Schriftsteller
NZZ am Sonntag
Notiz vom 20. September 2023: Am 20. September hat der Regierungsrat meine schriftliche Anfrage betreffend Auswirkungen der kantonalen Kulturförderung auf die Kunstfreiheit und das Kulturschaffen beantwortet. Ich bin damit mässig zufrieden.
Zwar sieht die Regierung die Kunstfreiheit in Basel-Stadt als garantiert. Das beruhigt mich. Ich kann ihrer Argumentation folgen, dass die Kunstfreiheit eingeschränkt werden kann, wenn ein anderes Grundrecht tangiert wird, wie beispielsweise der Diskirminierungsschutz. Nur: wer beurteilt das – und wie?
Ob nun die Verwendung des Worts «Zigeuner» in einem literarischen Text das Grundrecht des Diskriminierungsschutzes tangiert oder nicht, ist der Auffassung der Regierung nach vom Kontext der Verwendung des Wortes abhängig. Ihr war dieser Kontetxt aus dem Gesuch von A.C. Sulzer offenbar nicht klar ersichtlich, warum man sich dazu verpflichtet sah, weitere Informationen dazu einzuholen. Da ich das Gesuch nicht gesehen habe, kann ich nicht abschliessend beurteilen, ob dieses staatliche Handeln nachvollziehbar und angemessen war.
Was mir aber fehlt in den Ausführungen der Regierung, sind die Umstände, in denen die Verantwortlichen zu ihrem Entscheid kamen, der Kontext des Wortes sei im Gesuch ungenühgend ausgeführt. Denn: Ist es nicht so, dass sich die gesellschaftliche Bewertunng von Wörtern und Texten verändert hat? Was, wenn der Kanton ein Buch fördert, dass – ob nun berechtigt oder nicht – einen Sturm der Entrüstung auslöst? Aufgrund (vorgehaltener) Diskriminierung oder der Reproduktion patriarchaler Strukturen? Inwiefern würde ein solcher «Shitsorm» der Kulturförderung, der Kulturstadt Basel und letztlich gar dem Autoren schaden? Hat womöglich die Abteilung Kultur gar eine Pflicht, die Kulturförderung vor möglichen «Shitstorms» zu schützen? Ist sie darum heute anders «alarmiert»? Übersteuert sie, oder handelt sie in weiser Vorausssicht?
Sicher ist, dass das «Urteil», ob die Kunstfreiheit den Diskriminierungsschutz tangiert oder nicht, heute immer weniger von einem Gericht beurteilt wird, als von der Rezeption einer ziemlich eigenwilligen Dynamik im digitalen Raum. Das ist nicht dasselbe. Das gilt es zu differenzieren.
Mir fehlt dieser Aspekt in der Diskussion. Denn so gesehen könnte man auch zum Schluss kommen, dass der Autor und die Förderung im selben Boot sitzen. Ein zerpfücktes Buch hilft beiden nicht. Auch dann nicht, wenn ein Gericht es lange nach dem «Shitstorm» für nicht justiziabel beurteilen würde.
Offenbar hat man es aber nicht nur in der Beantwortung meiner schriftlichen Anfrage, sondern auch in der Kommunikation mit dem Autoren verpasst, diesen Aspekt einfliessen zu lassen. Die Abteilung Kultur hat ihrerseits ihre Nachfrage nach dem Kontext ungenügend begründet und hat es unterlassen zu vermitteln, warum ihre Vorsicht und ihr Absicherungsversuch berechtigt sei.
Das ist schade und öffnet letztlich eben den Raum für die Interpretation, ihre Nachfrage sei Steuerung oder gar Zensur. Und: Ich stelle ich Frage, ob eine Kulturförderung in vorauseilendem Gehorchsam dafür besorgt sein soll, dass alles «richtig» heauskommt. Eine mutige Kulturförderung risikiert auch mal einen Shitstorm.
Zeitung: Basler Zeitung, Sebastian Briellmann, 22.09.2023
«Eine mutige Kulturförderung risikiert auch mal einen Shitstorm»
Basler Zeitung
Online: Bajour, Valerie Wendenburg, 21.09.2023
«Die Meinungs- und Kunstfreiheit wurden nicht eingeschränkt»
Bajour
Notiz vom 22. Juni 2023: Grosser Rat, schriftliche Anfrage: Die Rückfrage auf ein Gesuch um Unterstützung bei der Finanzierung eines Buches (Roman «Genienovelle» von Alain Claude Sulzer) hat schweizweit und über die Schweiz hinaus (FAZ, SZ, DLF) mediales Echo gefunden. Der Autor wurde aufgefordert sich zu erklären, mit welcher Absicht er in seinem Roman das Wort «Zigeuner» verwende. Das Wort wird von Duden mit «hat diskriminierende Bedeutung(en)» klassifiziert. Gemäss Medienberichten waren die Kulturbeauftragten beider Basel der Ansicht, dass es im betreffenden Fall eine Ergänzung und eine Kontextualisierung brauche.
Anders sieht das der Autor. Er versteht die Aufforderung zur Erklärung der Verwendung einzelner Wörter in der Erzählstimme des Protagonisten seiner Geschichte als Einschüchterungsversuch und befürchtet negative Folgen für die Kunstfreiheit im Allgemeinen und für die Literatur im Speziellen. SRF-Literaturclub-Moderatorin Nicola Steiner spricht von einer Zumutung, dass der Autor sowas erklären muss. Mindestens ein Mitglied der involvierten Fachjury ist nach publik werden des Vorfalls ausgetreten.
Am 21. Juni holte Bajour die teils gehässige Debatte aus den Kommentarspalten in die Realität. Im Saal des kHauses stellten sich Alain Claude Sulzer und Katrin Grögel der Diskussion mit Nicola Steiner und dem Journalisten Philipp Loser. Moderiert wurde die Diskussion von Bajour-Domteurin Andrea Fopp.
Zwischen der Kunstfreiheit und nachvollziehbarem staatlichem Handeln. Es ist kompliziert! Es war ein gutes und wichtiges Gespräch zum Thema «Steuerung durch Kulturförderung», das dringend weiter geführt werden muss. Aus diesem Grund habe ich dem Regierungsrat einige Fragen zum Thema gestellt. Darunter: Ist die Kunstfreiheit in Basel-Stadt garantiert? Ist der Regierungsrat der Ansicht, dass es Gründe gibt, die Kunstfreiheit einzuschränken? Falls ja, welche sind das? Ist der Regierungsrat der Ansicht, dass Literatur frei von ‚problematischen‘ Wörtern sein soll? Verfolgt der Regierungsrat mit der Kulturförderung gesellschaftspolitische Ziele, die sich steuernd oder einschränkend auf die Kunstfreiheit auswirken? Falls ja, welche sind das? Wie wird gesteuert? und weitere mehr.
Der Regierungsrat wird die Fragen bis spätestens Ende September beantworten.
Online: Grosser Rat, Geschäft Nr. 23.5369
Schriftliche Anfrage Johannes Sieber betreffend Auswirkungen der kantonalen Kulturförderung auf die Kunstfreiheit und das Kulturschaffen
Grosser Rat Basel-Stadt, Geschäftsverzeichnis
Online: Basler Zeitung, Sebastian Briellmann, 11.07.2023
Alain Claude Sulzer: «Es ist nicht die Aufgabe von Ämtern und Beamten, an der Sprache herumzuschrauben»
Basler Zeitung
Online: Basler Zeitung, Sebastian Briellmann, 07.07.2023
Beat Jans: «Es gibt viele Möglichkeiten, den Gebrauch solcher Wörter zu erklären»
Basler Zeitung
Online: Bajour, Ina Bullwinkel, 22.06.2023
Katrin Grögel: «Wir wollen keine Sprachpolizei werden»
Bajour
Online: Basler Zeitung, Sebastian Briellmann, 22.06.2023
Wer fördert, soll entscheiden – aber bitte nicht Sittenwächter spielen
Basler Zeitung
Online: NZZ, Paul Jandl, 14.06.2023
So etwas wie Zensur: Alain Claude Sulzer muss sich vor der Basler Literaturkommission rechtfertigen, weil er das Wort «Zigeuner» benutzt hat
Neue Zürcher Zeitung
Foto zur Notiz: Johannes Sieber