Schweiz muss jetzt Frontex-Reform vorantreiben

Konsequenzen bei Gewalt

Nationalrat, Interpellation: In ihrer juristischen Analyse weist die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) auf systematische körperliche Gewalt gegen Asylsuchende durch Polizeibehörden von Dublin-Staaten hin. Sie fordert deshalb, auf Überstellungen nach Bulgarien und Kroatien zu verzichten.

Von 381 analysierten Urteilen im ersten Halbjahr 2022 beinhalteten 43 Vorbringen Polizeigewalt in einem anderen Dublin-Staat, vor allem in Bulgarien und Kroatien, in rund 50% der Urteile betreffend diese Länder wurde von der gesuchstellenden Person Polizeigewalt vorgebracht. Solche Übergriffe wären als Verstoss gegen zwingendes Völkerrecht (Art. 3 EMRK) zu qualifizieren. Dennoch wird seitens des Staatssekretariats für Migration (SEM) in Dublin-Entscheiden argumentiert, es lägen keine Hinweise auf Völkerrechtsverstösse vor.

Im Mai 2022 veröffentlichte Human Rights Watch (HRW) seine Erkenntnisse aus Befragungen von Opfern von Pushbacks in Bulgarien. HRW warf den bulgarischen Behörden aufgrund dieser Aussagen vor, Schutzsuchende zu verprügeln, zu berauben, zu entkleiden, Polizeihunde einzusetzen und sie dann ohne formelle Befragung oder Asylverfahren in die Türkei zurückzuschicken. Dies wird auch vom Europarat bestätigt. Auch sei in Kroatien Gewalt durch die Polizei seit Jahren weit verbreitet und dokumentiert. Der Einsatz von Gewalt gegenüber Geflüchteten durch die kroatischen Behörden sei unbestritten und wird von höchster Stelle auch so bestätigt.

Die Berichte der Schweizerischen Flüchtlingshilfe und Human Rights Watch veranlassten Nationalrätin Katja Christ und mich, in einer Interpellation den Kenntnisstand zu diesen Missständen und die Handlungsmöglichkeiten via Frontexgremien abzufragen.

Wir stellten folgende Fragen:

  1. Wo decken, wo unterscheiden sich die Analysen im Bericht der SFH mit den Erkenntnissen des Staatssekretariat für Migration (SEM)?
  2. Von welchen Misshandlungen gegen Asylsuchende und menschenrechtswidrigem Vorgehen wird in den Protokollen der Anhörungen von Asylsuchenden durch das SEM berichtet? Sind darunter „Pushbacks“ protokolliert?
  3. Beobachtet der Bund ebenfalls eine Zunahme dieser Vorbringungen in den Jahren 2021 und 2022? Wie ordnet der Bund diese Zunahme ein?
  4. Wie setzt sich der Bund in den betreffenden Dublin-Mitgliedstaaten für eine Verbesserung der Situation ein?
  5. Welche Konsequenzen zieht der Bund aus den eingangs erwähnten Berichten?
  6. Welche Möglichkeiten hat der Bund via die Frontexgremien die Zustände zu eruieren und gegebenenfalls die Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes zu erwirken?

Online: Nationalrat, Geschäftsverzeichnis, Katja Christ, Interpellation, 01.12.2022
Konsequenzen für Dublin-Überstellungen aufgrund Polizeigewalt in Bulgarien und Kroatien
Nationalrat, Geschäftsverzeichnis

Fernsehen: SRF, 10vor10, 08.12.2022
Bulgarien misshandelt Flüchtlinge
Schweizer Radio und Fernsehen

Online: Schweizerische Flüchtlingshilfe, 15.09.2022
Polizeigewalt in Kroatien und Bulgarien: SFH fordert, auf Überstellungen zu verzichten
Schweizerische Flüchtlingshilfe

Online: Schweizerische Flüchtlingshilfe, 15.05.2022
Schweiz muss jetzt Frontex-Reform vorantreiben
Schweizerische Flüchtlingshilfe

Foto zur Notiz: Schweizerische Flüchtlingshilfe / Keystone