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Sexualstrafrecht ungenügend

Auf dem Heimweg von einem Club, in einem Hauseingang im St. Johann-Quartier wurde eine Frau vergewaltigt. Der Täter wurde in erster Instanz zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Zwar bestätigte das Basler Appellationsgericht in zweiter Instanz den Schuldspruch des Strafgerichts wegen Vergewaltigung, versuchter Vergewaltigung und sexueller Nötigung, reduzierte das Strafmass aber auf 36 Monate. Der Täter kommt nächstens frei.

Das Urteil tritt eine Empörungswelle los. Die umgehend eröffnete Facebook-Gruppe «NEIN heisst NEIN – ohne Ausreden» zählte innert Kürze mehrere Hundert Mitglieder. Am kommenden Samstag wird um 14 Uhr zu einer Demo vor dem Appellationsgericht aufgerufen. Man will die Reduktion des Strafmasses und vor allem dessen Begründung nicht hinnehmen: Das Opfer soll «Signale auf Männer ausgesendet» haben. Sie «habe mit dem Feuer gespielt».

Dass mit einer solchen Begründung dem Opfer eine Mitschuld an der Vergewaltigung angedichtet wird, stört zurecht. Dieses Verständnis vom Hergang manifestiert die Idee, dass Menschen sich durch entsprechendes Kleiden oder Verhalten selbst in Gefahr bringen, vergewaltigt zu werden. Ähnlich der Gefahr eines Selbstunfalls beim Fahren mit übersetzter Geschwindigkeit auf nasser Fahrbahn.

Gleichzeitig manifestiert die Begründung die irre Idee, dass Täter:innen aufgrund vom Auftritt und Verhalten ihrer Mitmenschen zu einer Straftat animiert werden. Als ob – im Fall der Vergewaltigung im St. Johann – der Täter durch das Verhalten des Opfers sozusagen dem Sinn seiner grundsätzlich berechtigten Bestimmung folgte; wenn nicht sogar folgen musste. Als ob er gar nicht anders konnte. Was für ein Männerbild!

Beides ist Blödsinn. Der Sturm der Empörung ist berechtigt. Ob hingegen mit der Gerichtspräsidentin Liselotte Henz die richige Zielscheibe gewählt wurde, ist fraglich. Zum einen hat das Urteil ein Dreiergericht gefällt, zum andern kann man bei Urteilen vom Appellationsgericht davon ausgehen, dass sie nicht willkürlich gefällt werden. Die Richterinnen und Richter fällen ihre Urteile nach bestimmten Grundsätzen und im Rahmen des Strafmasses, das vom Gesetz vorgesehen ist.

Es lohnt sich darum, den Fokus weg von Richterin und Appellationsgericht hin auf die Gesetzgebung zu richten. Die Revision des Sexualstrafrechts ist derzeit in Bearbeitung. Vorgeschlagen werden diverse Anpassungen der geltenden Strafrahmen sowie Änderungen bei den Tatbeständen, also der Umschreibung des strafbaren Verhaltens, namentlich bei der Vergewaltigung.

Das Vernehmlassungsverfahren endete im Mai 2021. Die Teilnahmen waren zahlreich und kontrovers. Während den einen die neue Ausarbeitung vom Gesetz zu wenig griffig ist, geht es den andern zu weit. Die Spanne reicht von «Nur Ja heisst Ja» bis zu «Nein heisst Nein». Die Reaktionen insgesamt zeigen aber, dass der Ruf nach einer angemessenen Vergewaltigungsdefinition allgemein anerkannt ist.

Besonders störend an der aktuellen Gesetzgebung ist, dass nur «Personen weiblichen Geschlechts» Opfer einer Vergewaltigung werden können. Und zwar nur durch erzwungenes vaginales Eindringen. Aufgrund der aktuellen Gesetzgebung können Männer also nicht vergewaltigt werden. Wie sich das auf entsprechende Statistiken auswirkt, braucht hier nicht ausgeführt zu werden.

Mal abgesehen davon, dass es ganz grundsätzlich fraglich ist, das Geschlecht eines Menschen an primäre Sexualorgane zu knüpfen, sagt das aktuelle Gesetz – aber auch die Vernehmlassungs-Version der Revision – erschreckend viel über die Gleichstellungspolitik aus. Die Diskussion ist nach wie vor in den Denkmustern der heteronormativen Mehrheitsgesellschaft gefangen.

Website: Schweizerisches Strafgesetzbuch
Vergewaltigung, Art.190
www.fedlex.admin.ch

Website: Operation Libero, Blog
Das kleine ABC des Sexualstrafrechts
www.operation-libero.ch

Radio: Schweizer Radio und Fernsehen, Echo der Zeit, 10.05.2021
Nur Ja heisst Ja: Neues Prinzip soll bei sexueller Gewalt gelten
Schweizer Radio und Fernsehen

Website: Grünliberale Partei Schweiz, 06.05.2021
Stellungnahme zur Revision des Sexualstrafrechts
www.grunliberale.ch

Website: Die Bundesversammlung, Medienmitteilung, 01.02.2021
Kommission eröffnet Vernehmlassung zu einer Revision des Sexualstrafrechts
www.admin.ch

Zeitung: Primenews, News aus der Region, 05.08.2021
Nach umstrittenem Urteil: Appellations­gericht nimmt Stellung
Primenews

Zeitung: bz – Zeitung für die Region Basel, Silvana Schreier, 02.08.2021
Urteil zu Vergewaltigung in Basel bewegt über Landesgrenzen hinaus
bz – Zeitung für die Region Basel

Foto zur Notiz: ask.aboutyou.de