Lohntüte Mindestlohn

Wer bezahlt den Mindestlohn?

Kantonale Abstimmung am 13. Juni 2021: Wenn immer die einen von einer Abstimmungs-Vorlage behaupten, sie würde sich positiv auf den Arbeitsmarkt auswirken, während die andern prophezeihen, sie würde Arbeitsplätze vernichten, dann liegt die Wahrheit nicht irgendwo dazwischen. Dann kennen wir sie nicht.

Es gibt Menschen, die selbst mit einem 100% Arbeitspensum nicht von ihrem Lohn leben können. Je nach Lebenssituation beginnt das Problem irgendwo knapp unter CHF 4’000.- im Monat. Nennen wir das Existenzminimum.

Diese Menschen haben keine Möglichkeit, Reserven zu bilden, Altersvorsorge in der dritten Säule anzuhäufen oder in die Ferien zu fahren. Mehr noch: sie benötigen staatliche Hilfe, um beispielsweise ihre Krankenkassenprämien oder gar ihre Wohnungsmiete zu bezahlen.

Menschen unter dem Existenzminimum werden also vom Staat unterstützt und sind dadurch vom Staat abhängig. Das ist nicht nur für die Betroffenen unbefriedigend, sondern für zwei Drittel der Bevölkerung unser Stadt: Sie bezahlen diese Leistungen mit ihren Steuern.

Wenn also eine Person 100% arbeitet und nicht von ihrem Lohn leben kann, finanziert der Staat indirekt die Arbeitskraft des Unternehmens – zumindest zum Teil. Zu eben dem Teil, der zum Existenzminimum fehlt. Branchen im Tieflohnsektor werden folglich indirekt staatlich gefördert. Nennen wir das staatliche Wirtschaftssubvention.

Das ist besonders dann störend, wenn es sich bei diesen Firmen um global agierende Internetplattformen handelt, die ihren Gewinn nicht in den Staaten versteuern, die ihre Angestellten mitfinanzierten. Es ist darum ganz grundsätzlich in unsere aller Interesse, dass alle Arbeitnehmenden in der Schweiz von ihrem Lohn leben können und nicht trotz Vollbeschäftigung auf Sozialleistungen angewiesen sind.

Wie bekommen wir das hin? Der zur Abstimmung stehende politische Mindestlohn schlägt vor, diesen gesetzlich festzulegen. Es sollen also zukünftig nicht mehr die Sozialpartner, sondern die Politik entscheiden, wie hoch der Mindestlohn sein soll. Bei einer Annahme der Vorlage werden alle Unternehmen, die im Kanton Basel-Stadt ansässig sind und Steuern bezahlen, verpflichtet, ihren Angestellten einen Lohn von mindestens 21.-/h (Gegenvorschlag) oder 23.-/h (Initiative) zu bezahlen, losgelöst von deren Ausbildung und Qualifikation. (Nachtrag: Beim Gegenvorschlag werden nur Unternehmen drunter gestellt, die in ihrer Branche keinen allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsvertrag kennen. Diese sind ausgenommen.)

Ob das im Wirtschaftsgefüge eines Stadtkantons am Dreiländereck zu Deutschland und Frankreich und angrenzend an Kantone ohne politischen Mindestlohn möglich ist oder nicht, darüber streiten sich die Prophet:innen. So oder so: Ist das Gesetz erstmal in Kraft, wird der Mindestlohn möglich gemacht werden müssen. Doch wie?

Wenn das Existenzminimum zukünftig nicht mehr durch staatliche Wirschaftsförderung herbeigeführt wird, sondern durch die Lohnzahlungen der Unternehmen selbst, dann werden diese Unternehmen ihr Lohngefüge nach oben korrigieren müssen. Denn der Lohn der gelernten Mitarbeiterin wird nach wie vor höher sein müssen, als der Lohn des Hilfsarbeiters. In Basel-Stadt zu produzieren oder Dienstleistungen zu erbringen wird folglich teurer.

Die romantische Idee ist nun, dass irgendwo ein reicher alter Sack ende Jahr etwas weniger Shareholder-Value abschöpfen kann. Realistischer aber dürfte sein, dass die höheren Produktionskosten auf den Verkaufspreis der Produkte abgewälzt werden; bei Dienstleistungen ebenso. Sei es in der Bar oder beim Friseur: die staatliche Wirtschaftförderung, die bisher das Existenzminimum der Angestellten ermöglichte, würden bei Annahme der Vorlage zukünftig die Konsument:innen bezahlen. Bei der Initiative etwas mehr, beim Gegenvorschlag etwas weniger.

Darum lautet die Frage aller Fragen hinsichtlich der Entscheidungsfindung zum politischen Mindestlohn weniger «will ich ihn?» als «bin ich bereit dazu, ihn zu bezahlen?». Viel Erfolg beim Beantworten!

Position: Gesetzlicher Mindestlohn – ich bin skeptisch. Mir gefällt nicht, dass die Politik in die Lohnverhandlungen eingreifen will, die heute in den meisten Branchen erfolgreich und weitgehend zufriedenstellend über die Sozialpartner und Gesamtarbeitsverträge geregelt wird. Politische Anstrengungen sollten in der Bildung ansetzen und Anreize schaffen, die es Arbeitnehmenden ermöglicht, von Tieflohnjobs in besser bezahlte Arbeit zu wechseln. Ratskollegin Sandra Bothe hat dafür einen intelligenten Vorstoss eingericht (Bildungsgutschein). Mein Mediengutschein ist ein weiteres Beispiel. Basel würde mit dem gesetzlichen Mindestlohn als Produktionsstandort nicht attraktiver, was am Dreiländereck besonders ungünstig ist. Gleichzeitig ist ein Monatslohn unter CHF 3800.- ganz einfach zu tief. Eine untere Grenze zu setzen, ist nicht grundsätzlich falsch. Ich meine: Wer bereit ist, den Mindestlohn über seinen Konsum zu bezahlen, darf ihn auch einführen. Die Einkauftouris unter euch zählen bestimmt nicht dazu.

Online: Basler Zeitung, 28.05.2021
Ist wirklich jede Arbeit in Basel 23 Franken pro Stunde wert?
Basler Zeitung

Online: Basler Zeitung, 25.05.2021
Soll Basel-Stadt Ausbeuter subventionieren?
Basler Zeitung

Online: Bajour, 10.2020 – 05.2021
Dossier Mindestlohn
Bajour

Online: Michael Honegger, Podcast
Nino Russano und Benjamin von Falkenstein zum Mindestlohn Basel-Stadt
Michael Honegger

Online: bz – Zeitung für die Region Basel, 29.04.21
Mindestlohn von 21 Franken: Ein Kompromiss mit fraglichem Nutzen
www.bzbasel.ch

Online: Primenews, 07.05.21
«Das Lohndiktat des Staates ist asozial»
www.primenews.ch

Online: bz – Zeitung für die Region Basel, 22.04.21
«23 Franken für eine selbstständige Existenz»: Initiativkomitee startet Kampagne
www.bzbasel.ch

Online: Sandra Bothe, Blog
Fit durch Weiterbildung
www.sandra-bothe.ch

Online: Johannes Sieber, Notizen
Journalismus für Jugendliche
www.johannes-sieber.ch

Foto zur Notiz: www.duden.de