Für die Erneuerungswahlen am 20. Oktober 2024 empfehle ich aus jeder der sieben Fraktionen im Grossen Rat eine:n Grossrät:in zur Wiederwahl. Vom Grün-Alternativen Bündnis (GAB) über die Mitte bis zur Schweizerischen Volkspartei (SVP) publiziere ich hier sieben Persönlichkeiten aus dem Grossen Rat – und empfehle sie zur Wiederwahl. Mit je einem kurzen Gespräch über die Politik, den Ratsbetrieb und den Kanton Basel-Stadt.
Hintergrund: Soll ein amtierender Grossrat den politischen Gegner zur Wiederwahl empfehlen? Eher nicht. Tue ich es trotzdem? Ja, hier der Grund.
Fraktion FDP.Die Liberalen: Luca Urgese (FDP)
Luca Urgese ist der Freisinn auf zwei Beinen. Ob Winter oder Hochsommer: stets im passenden Anzug, weisses Hemd, im Rat immer Krawatte, das dunkle Secondohaar zur Seite gekämmt, blaue Brille. Aussehen so zeitlos wie seine Argumentation, die zu Finanzfragen so zackig daher kommt, dass man annehmen muss: er weiss wovon er spricht. Dass Steuersenkungen dank Stärkung von Kaufkraft und der Möglichkeit zu Investitionn und darum Wachstum bei Unternehmen unter dem Strich für den Kanton zu mehr Steuereinnahmen führen (können) – das ist so ein typisches Urgese Thema. Wo andere ideologisch argumentieren, hat Urgese die Zahlen. Er ist – zum Unmut der Staatsausbauerinnen und Umverteiler – brillant. Obwohl er für mein Empfinden punktuell übertreibt, bekommt er einen Platz auf meiner Liste.
Johannes Sieber: Luca, du bist die Christine Keller der FDP, wenn es deine Partei nicht schon länger gäbe als dich, man müsste annehmen, du hättest sie erfunden. Arbeitest du nach Lehrbuch oder hast du den Freisinn im Blut?
Luca Urgese: Danke, aber das wäre ziemlich vermessen. Die FDP gibt es seit 130 Jahren und wurde von deutlich bedeutenderen Personen als mir geprägt. Nicht zuletzt auch von Baslern: Der erste Parteipräsident war ein Basler! Ich lese gerne und viel, auch über Politik. Davon lasse ich mich in meiner politischen Arbeit durchaus inspirieren und versuche aus Wahlkampf-Lehrbüchern zu lernen. Aber vieles davon ist nicht auf unser Milizsystem mit seinen knappen Ressourcen zugeschnitten. Zudem ist der Liberalismus für mich eine Lebenseinstellung. Das prägt mich und meine politische Haltung deutlich stärker.
JS: Liberalismus als Lebenseinstellung, diese teilen wir uns. Doch in Bezug auf Wirtschaftspolitik stellt sich ja schon die Frage, inwiefern dient diese der Volkswirtschaft der Schweiz oder fördert sie den Selbstbedienungsladen der Shareholder. Wo stehst du da?
LU: Die liberale Wirtschaftspolitik, basierend auf freier Marktwirtschaft und Unternehmertum, hat für einen beispiellosen Wohlstand gesorgt, von dem breite Bevölkerungsschichten profitieren. Da reicht ein Blick auf Statistiken zu Lebenserwartung, Armut, Gesundheit oder Glück. Und auf Länder, die andere Wirtschaftssysteme verfolgen: Dort herrscht Not und Elend. Deshalb kann ich mit diesem Schlagwort des “Selbstbedienungsladens” gar nichts anfangen.
JS: Du bist mir bei der No Billag-Initiative das erste Mal aufgefallen, die du unterstützt hast. Was hat dich da geritten? Eine Medienlandschaft ohne SRG, das kann niemand ernsthaft wollen?
LU: Ich war damals und bin auch heute noch der Überzeugung, dass die SRG zu gross ist und zu viel macht. Ganz konkret: Warum braucht es einen dritten TV-Sender, der vor allem Wiederholungen sendet, die ich jederzeit online abrufen kann? Warum muss SRF für viel Geld amerikanische Serien einkaufen, die ich mir bei privaten Streaminganbietern ansehen kann? Warum muss SRF mit Gebührengeldern das Milliardenbusiness Fussball mitfinanzieren, wenn doch die Nachfrage durch private Anbieter abgedeckt wird? Weshalb braucht es neun Radiosender, die direkt private Radiostationen konkurrenzieren und dabei den Wettbewerbsvorteil der Werbefreiheit haben?
Aber ich bin – auch geprägt durch den damaligen Abstimmungskampf – differenzierter geworden. Ich sehe die Bedeutung eines öffentlich-rechtlichen Nachrichtenmediums, vor allem für Regionen ausserhalb der Zentren. Weil sonst die demokratische Kontrolle nicht funktioniert.
Insofern: eine Medienlandschaft ohne SRG wäre unvollständig. Aber eine Medienlandschaft ohne private Anbieter wäre es ebenso. Ich sehe nicht ein, weshalb die SRG diese derart bedrängen muss.
JS: Die SRG muss ein Vollprogramm anbieten, dazu gehört auch Unterhaltung. Und ein Teil der Gebührenzahler will amerikanische Serien. Fair enough. Hingegen könnten wir der SRG die Werbung abstellen und sie zu 100% finanzieren, da bliebe mehr vom Werbekuchen für Private. Deal?
LU: Die SRG muss das anbieten, was politisch entschieden wird. Das ist nicht sakrosankt. Du schilderst mit deinem Beispiel amerikanischer Serien genau das Problem: Man lässt sein eigenes Bedürfnis von den Anderen mitfinanzieren. Für mich ist das nur dort vertretbar, wo ein gesellschaftlicher Mehrwert entsteht. Das sehe ich bei Nachrichten oder bei spezifisch schweizerischen Unterhaltungsformaten, wie dem Donnschtigsjass. Aber kein Billigabklatsch von internationalen Formaten, das können Private auch.
JS: Der gesellschaftliche Mehrwert entsteht durch das Vollprogramm, das ein möglichst breites Publikum anspricht. Alles bezahlen, alle sollen etwas davon haben. Aber zur Werbung…
LU: Nur die Werbung abzustellen hilft den Privaten nicht, im Gegenteil. Es ist ja beispielsweise gerade der Wettbewerbsvorteil der SRG-Radiosender, dass sie keine Werbung haben. Das wäre für mich also nur in Kombination mit einer Entschlackung der SRG-Programme ein gangbarer Weg.
JS. Wir finden uns hier nicht. Doch was anderes: erstaunt hat mich, dass du für die Kapitalaufstockung der MCH-Group lobbyiert hast. 34 Millionen – die FDP ist doch sonst eher knausrig, wenn es um Staatsausgaben geht. Wie kam es zu deinem Befürworten der Finanzhilfe?
LU: Immer diese Vorurteile! (lacht) Die FDP ist nicht knausrig. Sie geht sorgfältig mit dem Geld um, das uns von den Steuerzahlenden anvertraut wird und möchte den Menschen so viel Geld wie möglich im Portemonnaie belassen. Ich habe mir den damaligen Entscheid nicht leicht gemacht und ihn auch ausführlich öffentlich begründet. Wir mussten einen Entscheid darüber treffen, ob wir Basel als Messe- und Kongressstandort erhalten möchten. Das will ich, weil es sich volkswirtschaftlich lohnt. Gleichzeitig wird bei einer Analyse des Konkurrenzumfelds deutlich, dass bei allen relevanten Messestandorten in der einen oder anderen Form Staatsgelder fliessen. Es handelt sich um einen eigentlichen Wettbewerb der öffentlichen Hände. Das kann man aus liberaler Sicht bedauern und schlecht finden. Aber es ist nun mal ein Fakt. Im Ergebnis kam ich deshalb zum Schluss, dass die Beteiligung an der Kapitalerhöhung zwar riskant, aber trotzdem die für unseren Kanton und seine Bevölkerung risikoärmste Variante war. Deshalb unterstützte ich die Vorlage.
JS: Bei der Ersatzwahl im Frühling hast du für den Regierungsrat kandidiert und mit einem respektablen Resultat abgeschlossen. Warum stehst du nun nicht auf dem Wahlzettel für die Regierung?
LU: Das war in der Tat ein kurzer und sehr intensiver Wahlkampf, bei dem ich viel Zuspruch und Unterstützung erfahren durfte. Dafür bin ich auch heute noch dankbar. Die Bevölkerung hat sich bei dieser Wahl jedoch – wenn auch deutlich knapper als von den allermeisten erwartet – für meinen Kontrahenten entschieden. Das respektiere ich und hätte es nicht richtig gefunden, nur ein halbes Jahr später bereits wieder anzutreten.
JS: Trump oder Harris?
LU: Kamala Harris ist eine linke Politikerin. Ich teile viele ihrer politischen Positionen nicht. Ihr schwaches Abschneiden bei den demokratischen Vorwahlen 2020, verbunden mit Berichten über ein schlecht aufgestelltes Kampagnenteam, wirft bei mir einige Fragen bezüglich ihrer Führungsqualitäten auf. Und in ihrer Rolle als Vizepräsidentin hat sie auch nicht gerade geglänzt. Und doch muss ich nicht lange überlegen. Wenn die Alternative ein Kandidat ist, der im Amt bereits einmal gezeigt hat, dass er nicht den geringsten Respekt für demokratische Prozesse, Anstandsregeln und Gesetze hat, dann kann die Wahl nur seine Kontrahentin sein. Ich kann nur hoffen, dass die Republikaner nach einer weiteren Niederlage im November endlich wieder zur Besinnung kommen, mit Trump brechen und mit diesem unrühmlichen Kapitel endgültig abschliessen. Allerdings habe ich da so meine Zweifel.
JS: Das war jetzt aber eine lange Antwort... danke für’s Gespräch!
Empfehlung:
Schreiben Sie Luca Urgese maximal (!) 1x auf die Liste 10 der GLP. Wählen Sie unter keinen Umständen die Liste seiner Partei! Das könnte viel Ungemach über unsere Stadt bringen, und ich müsste viel Schelte von meiner Partei für diese Aktion hier einstecken… 😉
Wählen Sie weise mit der Liste 10 der Grünliberalen Partei in allen Wahlkreisen und verzichten Sie, bis auf die hier aufgeführten Ausnahmen, auf jegliches Panaschieren.
Vielen Dank!
Johannes Sieber, Liste 10/GLP, Wahlkreis Kleinbasel
Online: Johannes Sieber Notizen, Erneuerungswahlen 2024
Wahlen 24: Eine Empfehlung aus jeder Fraktion
Johannes Sieber, Notizen
Online: Johannes Sieber, Erneuerungswahlen, 20. Oktober 2024
3x auf die Liste 10/GLP im Kleinbasel: Johannes Sieber
Johannes Sieber, Erneuerungswahlen 2024
Foto: Lucia Hunziker