IG Musik Initiative Vernehmlassung

Zur Initiative der IG-Musik

Basel, 7. Juni 2021, Stellungnahme zur Vernehmlassung

Die IG Musik will, dass die staatliche Kulturförderung jede Form von professionellem Musikschaffen grundsätzlich gleich berücksichtigt. Im Herbst will sie eine Initiative lancieren, die das Potential für einige Dissonanzen hat – in der Musikszene Basel, aber auch darüber hinaus. Fabian Gisler, Gründungsmitglied der IG Musik, hat mich eingeladen, an der Vernehmlassung zum Initiative-Text mitzuwirken:

Lieber Fabian, liebe IG Musik

Danke für das inspirierende Gespräch von gestern und auch für die Einladung, an der Vernehmlassung eures Initiative-Texts teilzunehmen. Gerne fasse ich meine Gedanken dazu in dieser ‚kritischen Würdigung‘ zusammen.

Ich begrüsse ganz grundsätzlich jedes kulturpolitische Engagement, das sich durch eine vertiefte Auseinandersetzung, Dialogbereitschaft und Konstanz auszeichnet. Ich finde es gut, dass ihr jetzt einen Vorschlag für eine Initiative in die Vernehmlassung schickt, Raum für Diskussion öffnet und auch Bereitschaft signalisiert, die Initiative im Herbst zu lancieren.

Wie schon im Gespräch erörtert, teilen wir ein gewisses Unbehagen hinsichtlich starrer Strukturen und der oft fehlenden Dynamik im staatlich gefördertern Kulturbetrieb. Wir fragen uns, warum die immer selben Organisationen, Künstler:innen und Spielstätten Subventionen erhalten, während andere über Jahrzehnte mit wenig Mitteln und oft unter prekären Lebensumständen in der freien Szene darben – ohne Perspektive, jemals von ihrer Kunst leben zu können. Ob das gerecht ist, fragst Du Dich.

Die budgetierten Kulturausgaben für Staatsbeiträge, Projektförderung und die Dienststellen der Abteilung Kultur (exkl. Swisslos-Fonds) betrugen für das Jahr 2020 im Kanton Basel-Stadt rund CHF 136 Mio. Dieser Etat ist nicht einfach gegeben. Er besteht aus vielen einzelnen Töpfen, deren Fortbestand laufend neu verhandelt wird. Es ist der konstanten politischen Arbeit von Kulturschaffenden, Kulturinteressierten und politisch engagierten Menschen zu verdanken, dass es zu keinen Kürzungen kommt.

Planungssicherheit, sozialverträgliche Anstellungsbedingungen, aber auch Effizienz durch Professionalisierung der Organisationen, zuverlässige Partnerschaften und nicht zuletzt die Kontinuität der künstlerischen Qualität auf hohem Niveau sind zurecht Kernanliegen von Kulturschaffenden, Kultur-Konsument:innen, Stadtmarketing-Beauftragten, Interessierten am Wirtschaftsstandort und nicht zuletzt der Steuerzahlenden unserer Stadt.

Genanntes bedingt eine langfristige Perspektive, die nur mit langfristigen Engagements seitens der Förderstellen ermöglicht werden kann. Eine Kulturpolitik mit diesem Ziel ist auf die Sicherung der bestehenden Etats ausgerichtet. Damit begünstigt sie ein Stück weit die Institutionalisierung der Kultur.

Doch wäre der Umkehrtschluss fatal! Die politische Dekonstruktion der Institutionen – und das gilt für die Institutionen der Kultur genauso wie für die der Bildung und für medizinische und soziale Einrichtungen – führt nicht zu einer gerechteren Verteilung der heute gesprochenen Mittel. Weil die rund CHF 136 Mio für die Kultur unserer Stadt nicht einfach gegeben, sondern hart erkämpft und vehement verteidigt sind, stünden die gestrichenen Töpfe, die gekürzten Subventionen, die abgebauten Etats nicht einfach der freien Szene zur Verfügung. Sie wären weg.

Dass Kulturinstitutionen wie klassische Orchester, aber auch Museen und Theater vor der Herausforderung stehen, sich den aktuellen Veränderungen zu stellen, ist bekannt und anerkannt. Digitalisierung, Sozialer Wandel, Fragen der Nachhaltigkeit und bezüglich Klima, Diversität und Inklusion und nicht zuletzt die Covid-19-Pandemie sind die grossen Treiber dieses Wandels. Und wir stehen an dessen Anfang.

Das diesjährige «Forum Kultur & Ökonomie» beschäftigt sich mit dem Thema: «Pandemie – Prüfstein und Chance zur Transformation». Die Veränderung von Fördermodellen, Innovation in, um und mit kulturellen Institutionen, das Erschliessen neuer Publika, das Aufbrechen von Innen und Aussen, Transformation der Sparten, Prozessförderung und vieles mehr sind die aktuellen Themen, mit denen sich der institutionelle Kulturbetrieb sehr wohl und intensiv beschäftigt. Wir begleiten diese Entwicklung an der Universität Basel im Studienangebot Kulturmanagement u.a. mit dem «CAS Innovation & Change im Kulturbetrieb».

Darum ist das Narrativ «Starre Instititionen vs. bewegte freie Szene», das ihr mit der IG Musik und besonders dem Initiative-Text bedient, meiner Einschätzung nach nur in seinen Extremen zutreffend. Die Durchlässigkeit ist auch von den Institutionen gewünscht, angestrebt und vielerorts bereits länger in der Umsetzung.

Vor diesem Hintergrund habe ich zum Initiative-Text drei Kritikpunkte:

  1. Der Verteilkampf: Mein zentraler Vorberhalt betrifft das Gegenüberstellen von Institutionen und freie Szene. Einerseits weil ich die Grenzen nicht ganz so scharf gezeichnet sehe, wie das der Initiativetext tut, andererseits aus einem ganz logischen Grund: Würden wir beispielsweise die Institution Sinfonieorchester (SOB) schliessen, hätten wir zwar eine Instutition weniger, dafür 120 klassische Musiker:innen mehr in der freien Szene. Verfällt man nun der Annahme, dass mit dem Wegfall der Instiution die finanziellen Mittel für das SOB frei würden (was aus oben genannten Gründen falsch ist), kann ich noch knapp der Idee folgen, es wäre damit eine gewisse Gleichstellung unter den klassischen Musiker:innen hergestellt. Eine Art Gerechtigkeit, weil nun die ehemaligen Orchestermusiker:innen zusammen mit den Freien die selben Voraussetzung für Fördergelder haben. Doch wie sich nun all diese freien Musiker:innen organisieren, um die künstlerische Qualität eines SOB zu erlangen, die eine Dirigentin wie Mirga Gražinytė-Tyla oder einen Solisten wie Frank Peter Zimmermann nach Basel bringt? Fraglich. Ich meine: Die künstlerische Qualität eines SOB setzt seine Institution voraus.
  2. Der Begriff der Vielfalt: Mein zweiter Kritikpunkt betrifft die Unschärfe bezüglich des Vielfalt-Begriffs und das darauf abgestützte Missverhältnis bei der Berücksichtigung von Subventionen. Hier seid ihr unentschieden. Einerseits kritisiert ihr eine fehlende Vielfalt in der Förderung hinsichtlich Musiksparten. Andererseits macht ihr die fehlende Vielfalt am Verhältnis der Förderung von Institutionen vs. der freien Szene dingfest. Die nach Kulturförderungsgesetz verlangte Vielfalt misst sich allerdings nicht an der prozentualen Aufteilung der staatlichen Mittel. Die Vielfalt bezieht sich auf das Ermöglichen der verschiedenen musikalischen Genres durch das Berücksichtigen ihrer Bedürfnisse. Diese Vielfalt ermöglicht – besonders in Basel – nicht nur die öffentliche Hand, sondern zahlreiche private Stiftungen und Mäzene. Zudem haben unterschiedliche Sparten der Musik unterschiedliche Kostenstrukturen und unterscheiden sich darum im Förderbedarf. Eine Förderung der Vielfalt muss diese Faktoren berücksichtigen. Sie misst sich nicht am Verteiler der staatlichen Mittel, sondern am Resultat – also an der Frage, ob die Genres in Basel stattfinden oder nicht. Besonders dem Jazz geht es in Basel verhältnismässig sehr gut – ganz ohne staatliche Beiträge.
  3. Der Begriff der Demokratie: Der dritte Kritikpunkt betrifft den Demokratie-Begriff. Ein ‚Grundanliegen‘ der Initiative ist es, dass die zeitgemässe Musikförderung demokratisch sein soll. Nun ist es so, dass alle Töpfe der Kultur, also sämtliche Leistungsvereinbarungen zwischen Kanton Basel-Stadt und Leistungserbringer von Kultur, alle vier Jahre vom Grossen Rat bestätigt werden müssen. Die Kulturförderung und auch die Musikförderung der öffentlichen Hand IST demokratisch. Auch sämtliche Subventionsempfänger, die als Vereine organisiert sind, SIND demokratisch legitimiert. Ein gutes Beispiel ist der RFV Basel, der sich vom Rockförderverein Basel zum RFV Basel – Popförderung und Musiknetzwerk der Region Basel, gemausert hat. Eine Entwicklung, die von seiner Basis angeregt und herbei geführt wurde. Nicht demokratisch ist die private Kulturförderung durch Mäzenatentum und Stiftungen. Doch auch das Engagement von gemeinnützigen Stiftungen muss deren Zweck entsprechen, was wiederum die kantonale Stiftungsaufsicht überwacht. An Grenzen stösst die Demokratie also weniger in Bezug auf die Frage von Sparten, Institutionen oder freie Szene, als hinsichtlich der Partizipation der nicht stimmberechtigten Einwohner:innen unserer Stadt. Doch sie werden auch eure Initiative weder annehmen noch ablehnen können.

Fazit: Auch wenn ich den Ausgangspunkt der IG Musik nachvollziehen kann und die Forderung nach finanzieller Unterstützung für freies Kultur- und Musikschaffen unterstütze, bin ich mit dem Narrativ der Initiative nicht einverstanden. Konstruktive Kulturpoltik setzt nicht auf Verteilkampf, sondern argumentiert inhaltlich. Das wäre möglich: Warum sollen Jazz, Pop und Rock heute über die bereits getätigten Engagements hinaus gefördert werden? Warum braucht die freie Szene mehr Mittel? Wie definiert und woran misst sich professionelles Musikschaffen? Nach welchen Kriterien soll dieses gefördert werden? Und was ist die Vision dieser Förderung?

Der Versuch, eine Art Gerechtigkeit zwischen Musikschaffenden in Institutionen und der freien Szene herzustellen, ist ein nobles Ziel. Doch meine ich, es sind die Antworten auf die obigen Fragen, die eine politische Grundlage für die von euch angestrebte Finanzierung schaffen. Daran sollten wir gemeinsam arbeiten!

Denn: Kann Musikförderung überhaupt gerecht sein? Und angenommen, das ist das Ziel: Wird eure Initiative das erreichen?

Ich bin wohlwollend skeptisch und freuen mich auf weitere Gespräche.

Herzlicher Gruss
Johannes

Online: IG Musik, 7. Juni 2021
Text Initiative, zur Vernehmlassung
IG Musik, Text Initiative Download

Vernehmlassung Initiative-Text IG Musik

INITIATIVE FÜR ZEITGEMÄSSE MUSIKFÖRDERUNG

1. Beitragverhältnis

a) Die Abteilung Kultur sorgt für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Förderung, die sie an Musikinstitutionen vergibt, und derjenigen, die sie aufgrund von Gesuchen für freie professionelle Musikschaffende spricht. //Bemerkung: Professionalität misst sich dadurch, ob jemand den Lebensunterhalt durch sein Tun bestreiten kann. Just das ist das Problem in der freien Szene und darum ein kontraproduktives Ausschusskriterium.

b) Der Anteil der Förderbeiträge sowohl für Institutionen wie auch für freie professionelle Musikschaffende darf einen Drittel des gesamten öffentlichen Musikförderungsbudgets pro Jahr nicht unterschreiten muss in einem Verhältnis stehen, dass Projkete der freien Szene ausreichend berücksichtigt. //Bemerkung: Die Grenziehung zwischen Institutionen und freier Szene ist nicht scharf. Es existrieren unterschiedliche Institutionen mit unterschiedlichen Leistungsaufträgen. Das Auflösen einer Institution führt zum Wachstum der freien Szene.

c) //Bemerkung: Gut.


2. Beitragsvergabe

a) Freies professionelles Musikschaffen wird in allen musikalischen Bereichen unter gleichen Voraussetzungen bedarfsgerecht gefördert. Dabei werden auch die Produktionsweisen der verschiedenen Genres und die Förder-Engagements Dritter berücksichtigt. //Eine Förderung der Vielfalt muss die Faktoren Produktion und Engagements Dritter berücksichtigen. Sie misst sich nicht am Verteiler der staatlichen Mittel, sondern am Resultat – also an der Frage, ob die Genres in Basel stattfinden.

b) Für die Vergabe von Förderbeiträgen an freie professionelle Musikschaffende ist künftig nur noch eine Vergabestelle zuständig. //Bemerkung: Kann man machen. Führt jedoch zu Machtkonzentration und eher zu einem Abbau von Demokratie in der Förderung. Es empfiehlt sich, die Entscheide durch eine Kommission zu begleiten.


3. Weitere Massnahmen

a) //Bemerkung: Gut.

b) //Bemerkung: Gut.

Input von Johannes Sieber, 07.06.2021

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Foto zur Notiz: Eric Nopanen, Unsplash